Perspektiven auf Verantwortung und Gerechtigkeit in Unternehmen“
Universität Freiburg und Arbeitskulturen-Netzwerk der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde laden zum Auftakt einer Tagung zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion am 10.11.2021
Managementakademien bieten Ethikseminare an, Unternehmen verschiedener Branchen werben damit, dass sie mit ihren Produkten einen Beitrag gegen den Klimawandel oder zu einer besseren Gesellschaft leisten. – Das „moralisch Gute“ scheint in Unternehmen so wichtig wie nie zuvor. Doch was bedeutet das Gute für sie im ganz eigenen Wirkungsbereich innerhalb von Unternehmen und in deren Darstellung nach außen? Wie bewerten und realisieren sie dort ethische Ideale?
Unter dem Titel „Gut Arbeiten? Perspektiven auf Verantwortung und Gerechtigkeit in Unternehmen“ diskutieren am 10. November 2021 Vertreter*innen aus Unternehmen, Gewerkschaften, Beratung und Universität das Thema Verantwortung und Gerechtigkeit in Organisationen. Zentrale Aspekte sind zum Beispiel Arbeitsstandards, Einstellungsverfahren, Formen der Außendarstellung, Konflikte und auch historische Entwicklungen.
Diskussionsteilnehmende sind Björn Beckmann (Schwarzwaldmilch), Reiner Geis (verdi), Corinna Kämpfe (Grünhof) sowie weitere Gäste aus Universität und Unternehmensberatung. Organisiert wird das Podium von der Universität Freiburg und dem Arbeitskulturen-Netzwerk der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde. Die Diskussionsrunde findet im Kollegiengebäude der Universität statt und wird parallel dazu gestreamt; alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
Das Podium bildet den Auftakt zur Fachtagung „Morality als Organizational Practice“ (11./12. Nov. 2021, online). Hier diskutieren Kulturwissenschaftler*innen ihre aktuellen Forschungen zum Thema. Interessierte sind auch hierzu herzlich eingeladen.
Was: Podiumsdiskussion: „Gut Arbeiten? Perspektiven auf Verantwortung und Gerechtigkeit in Unternehmen“
Wann: Mittwoch, 10. Nov. 2021, 18.15 Uhr
Wo: Universität Freiburg, Platz der Universität 3, Kollegiengebäude I (KG I), Hörsaal 1098 (3G-Regel)
Online-Teilnahme an der Tagung: Anmeldung: arbeitskulturen@gmail.com, Sie erhalten einen Panopto-Link.
Wer: Mit Björn Beckmann (Schwarzwaldmilch Freiburg), Christine Jägle (Personalrat Universität Freiburg), Reiner Geis (verdi-Bezirk Südbaden), Corinna Kämpfe (Grünhof e.V.), Michael Maile (maile & partner / HfWU Nürtingen) und Inga Wilke (Kulturanthropologie Universität Freiburg). Moderation: Sarah May, Stefan Groth.
Veranstalter: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutsche Gesellschaft für Kulturanthropologie und Volkskunde, Universität Zürich
Von untergeordneten Männchen geführte Fischgruppen schneiden besser ab als Gruppen, die von dominanten und aggressiven Männchen geführt werden
Foto von Engin Akyurt von Pexels
Das stärkste, größte und aggressivste Mitglied einer Gruppe ist meist dominant, trifft aber nicht unbedingt alle Entscheidungen. Eine neue Studie über das Verhalten von Fischen zeigt, dass dominante Individuen eine Gruppe zwar durch Gewalt beeinflussen können, passive Individuen eine Gruppe jedoch viel besser zu einem Konsens bringen können. Die Studie eines internationalen Teams des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie, der Universität Konstanz und der University of Texas in Austin widerlegt die Annahmen, dass dominante Individuen den größten Einfluss auf ihre Gruppen haben. Die Ergebnisse zeigen, dass dominante Individuen eine effektive Kommunikation behindern können.
Innerhalb einer Gruppe besonders stark, groß und aggressiv aufzutreten, mag die Dominanz fördern. Dominante Individuen treffen aber nicht zwangsläufig alle Entscheidungen. Eine neue Studie zum Verhalten von Fischen zeigt, dass dominante Individuen eine Gruppe zwar gewaltsam beeinflussen können, passive Individuen einer Gruppe jedoch viel erfolgreicher bei der Herbeiführung eines Konsens agieren. Die Studie, die von einem internationalen Forschungsteam des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie, der Universität Konstanz und der University of Texas in Austin veröffentlicht wurde, widerlegt die Annahme, dass dominante Individuen den größten Einfluss auf ihre Gruppen ausüben.
Die Studie liefert zudem neue Erkenntnisse dazu, wie dominante Individuen die effektive Kommunikation innerhalb von Organisationen behindern können. „Dieselben Eigenschaften, die Macht verleihen können, führen unter Umständen dazu, dass sich dieser Einfluss verringert – insbesondere dort, wo Individuen frei wählen können, wem sie folgen möchten“, erklärt Alex Jordan, Hauptautor der Studie und Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie sowie am Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie.
Dominante Individuen können der Gruppe durch besondere Aufdringlichkeit ihren Willen aufzwingen. Genau das macht sie aber auch sozial abstoßend. „Wenn es darum geht, unter Gleichgestellten und in Hinblick auf anspruchsvollere Aufgaben einen Konsens herbeizuführen, sind es die am wenigsten aggressiven Individuen, die den größten Einfluss ausüben. Unsere Ergebnisse veranschaulichen, dass dominante Individuen zwar am häufigsten Machtpositionen erlangen, gleichzeitig jedoch die am wenigsten wirksamen Einflussstrukturen erzeugen“, so Jordan.
Dominanz von Einfluss trennen
Um die Auswirkungen von Dominanz und Einfluss zu entwirren, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gruppen einer sozialen Buntbarschart, Astatotilpia burtoni. „Diese Spezies bildet Gruppen mit strengen sozialen Hierarchien, in denen dominante Männchen Ressourcen, Territorium und Raum kontrollieren“, sagt Mariana Rodriguez-Santiago, Miterstautorin der Studie und Doktorandin im Labor des Co-Korrespondenzautors Hans Hofmann an der UT Austin. „Wir haben uns gefragt, ob die aggressiven, dominanten Männchen eine zentrale Rolle in ihren sozialen Netzwerken spielen und die Ressourcen kontrollieren, auch am einflussreichsten sind. Oder ob untergeordnete Männchen den größten Einfluss ausüben, obwohl sie passiv und nicht territorial sind und wenig oder gar keine Kontrolle über die Ressourcen haben.“
Die Forschenden trennten die Auswirkungen sozialer Dominanz von sozialer Einflussnahme, indem sie untersuchten, wie bei routinemäßigem Sozialverhalten oder einer komplexeren sozialen Lernaufgabe Informationen zwischen dominanten oder untergeordneten Männchen und ihren Gruppen ausgetauscht wurden. Bei der komplexeren sozialen Lernaufgabe wurden dominante oder untergeordnete männliche Fische darauf trainiert, ein farbiges Licht auf der einen Seite des Beckens mit der Gabe von Futter in Verbindung zu bringen. Diese „eingeweihten“ Individuen wurden im Anschluss neuen Gruppen mit Individuen zugeteilt, die diese Konditionierung nicht durchlaufen hatten. Anschließend untersuchten die Forschenden, welche Gruppe – die mit den eingeweihten dominanten oder untergeordneten Männchen – schneller lernte, ein farbiges Licht mit Futter in Verbindung zu bringen.
Preis der Dominanz
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten die Bewegung der Fische und stellten fest, dass bei routinemäßigen sozialen Interaktionen die dominanten Männchen den größten Einfluss ausübten, indem sie der Gruppe nachstellten und sie herumschubsten. Bei der komplexeren Aufgabe, bei der der Gruppe der Einfluss nicht aufgezwungen wurde, sondern die einzelnen Fische die Wahl hatten, wem sie folgen wollten, waren es jedoch die untergeordnete Männchen, die in ihren sozialen Gruppen den größten Einfluss ausübten. In Gruppen, die von einem untergeordneten Männchen angeführt wurden, kamen die Fische schnell zu einem Einvernehmen darüber, welchem Licht sie folgen sollten, und bewegten sich als Einheit gemeinsam, um die Aufgabe erfolgreich zu bewältigen. Unter der Anleitung eines dominanten Männchens erreichten die Gruppen viel langsamer einen Konsens – wenn überhaupt.
Durch die Verwendung zusätzlicher, auf maschinellem Lernen basierender Trackingmethoden, bei denen modernste, in den Computerwissenschaften entwickelte Techniken zum Einsatz kommen, konnten die Forschenden die unterschiedlichen Verhaltensweisen von dominanten und untergeordneten Männchen entschlüsseln: Dominante Männchen spielten in sozialen Verhaltensnetzwerken die Hauptrolle (sie interagierten häufig mit anderen), besetzten in räumlichen Netzwerken jedoch eher Randpositionen (sie wurden von anderen gemieden). Der Einsatz dieser Technologie ermöglichte somit Erkenntnisse zu den Mechanismen und Ergebnissen der Einflussnahme, die zuvor nicht verfügbar waren.
„Durch die Erfassung von Verhaltensdaten, die mit bloßem Auge nicht messbar sind, konnten unsere automatisierten Trackingverfahren zeigen, dass der Unterschied zwischen Dominanz und Unterordnung nicht in der sozialen Stellung per se begründet war, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie sich die entsprechenden Individuen bewegten und mit anderen interagierten“, sagt Co-Erstautor Paul Nührenberg, Doktorand am Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz. „Unterschiede beim Verhalten führen in direkter Linie zu Unterschieden beim sozialen Einfluss.“
Dieses Ergebnis ist für unser Verständnis von der Entwicklung von Tiergesellschaften ebenso relevant wie für unser Verständnis von Führungsstrukturen in Organisationen. „In vielen Gesellschaften, ob tierisch oder menschlich, weisen Individuen in Machtpositionen ähnliche Merkmale bzw. Verhaltensweisen auf, nämlich Aggression, Einschüchterung und Nötigung“, sagt Jordan. „Eine effektive Kommunikation erfordert jedoch die Einbeziehung vieler Stimmen, nicht nur der lautesten. Unsere Erkenntnisse aus einem natürlichen System zeigen, dass alternative Wege zur Macht durchaus dabei helfen könnten, stärkere Beratungs-, Regierungs- und Bildungsstrukturen zu schaffen.“
Betrachtet man, wie sich einzelne Menschen oder auch verschiedene Gesellschaften in der Krise verhalten, treten plötzlich erstaunliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zutage. Peter van der Veer, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften befasst sich seit langem mit asiatischen Kulturen. In seinem Essay vergleicht er, wie man in Asien und in der westlichen Welt mit Gesichtsmasken, Toilettenpapier und der Angst vor dem Tod umgeht.
In Indien und China haben Atemtechniken in spirituellen Praktiken wie Yoga und Qi Gong eine lange Geschichte. In der hinduistischen, daoistischen und buddhistischen Tradition ist die Steuerung der Atmung nicht nur von grundlegender Bedeutung für das Leben, sondern auch für das spirituelle Wachstum. Dieser Gedanke findet sich auch in islamischen und christlichen Traditionen wieder. Heute erleben wir, wie die globale Ausbreitung eines Virus unsere Fähigkeit zu Atmen angreift. Keine spirituelle Atemtechnik kann uns helfen, in dieser Krise die Kontrolle über unsere Atmung zu bewahren. Man ist gezwungen, sich Beatmungsapparaten anzuvertrauen, solange man gegen das Virus kämpft.
Das Coronavirus ist ein Angriff auf den Körper, sowohl auf den Körper jedes einzelnen als auch auf den Staatskörper. Die Medien haben vor allem letzteren im Blick. Daher möchte ich hier die Rolle des menschlichen Körpers sowie dessen kulturelle Bedeutung während der Pandemie thematisieren. Plötzlich sind wir uns bewusst, wie häufig wir uns im Gesicht berühren und wie selten wir uns doch die Hände waschen. Auch die für Großstädter typische Erfahrung, dicht gedrängt zusammenzuleben, wandelt sich: Man weicht sich aus und geht auf Distanz zu seinen Mitmenschen. Diese Disziplinierung des Körpers ruft starke Emotionen bei uns hervor, die eine genauere Analyse verdienen.
Besonders aufgefallen sind mir zwei erstaunliche Phänomene: Da ist zum einen das Tragen von Gesichtsmasken. Während Bevölkerungen in Ost- und Südostasien offenbar keinesfalls mit Widerwillen ihr Gesicht bedecken, zeigen sich westliche Gesellschaften sehr skeptisch. In manchen westlichen Ländern dreht sich die Debatte vor allem um scheinbar nüchterne Fragen wie um die Wirksamkeit von Gesichtsmasken, ihre Anwendbarkeit bei Kindern oder Menschen mit Behinderungen oder einfach um ihre Verfügbarkeit.
Die Maske als Sinnbild kollektiven Gehorsams
Hinter diesen rationalen Diskussionen steckt ein latentes Unbehagen gegenüber dem Verbergen unseres Gesichts und, damit verbunden, unserer Individualität. Es gibt Ängste, dass sich die Gesellschaft in eine gesichtslose Masse verwandeln könnte. Das wird verstärkt durch die Befürchtung, die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren, gerade wenn staatliche Behörden solche Verhaltensrestriktionen anordnen. Die Maske wird so zu einem Sinnbild des kollektiven Gehorsams gegenüber einer äußeren Instanz. Schon früher zeigten sich ähnliche emotionale Reaktionen gegen die Verschleierung muslimischer Frauen und andere islamische Bekleidungsregeln. Gesicht zu zeigen, scheint eine unabdingbare Voraussetzung zu sein für die wahre Teilhabe am Leben in westlichen Gesellschaften.
In Ostasien wird diese Einstellung nicht geteilt. Japan ist in vielerlei Hinsicht Vorreiter der asiatischen Moderne. Infolge der sogenannten Spanischen Grippe in den 1920er-Jahren (die ihren Ursprung in Wirklichkeit in den USA und nicht in Spanien hatte) fand die Gesichtsmaske in Japan allgemeine Akzeptanz. Überhaupt gehen Japaner in der täglichen Hygiene sehr methodisch vor. Regelmäßiges Händewaschen und das Tragen von Handschuhen sind in Japan weit verbreitet. Diese Verhaltensweisen sind auch Ausdruck eines Bürgersinns, der von Rücksicht gegenüber den Mitmenschen geprägt ist.
Chinesen hingegen sagt man nicht gerade nach, dass sie im Alltag großen Wert auf Hygiene legten. So wurden noch bis vor kurzem lebende und frisch geschlachtete Tiere in den vor allem bei älteren Menschen beliebten Märkten auf offener Straße angeboten. Nach den durch SARS 1 und 2 verursachten Pandemien wurden diese Straßenmärkte schnell als Brutstätten für gefährliche Viren identifiziert. Gleichwohl haben sich Gesichtsmasken auch im öffentlichen Leben Chinas durchgesetzt, vor allem als Reaktion auf die zunehmende Luftverschmutzung. Dies gilt auch für andere Länder Südostasiens. Das Gefühl von Gesichtsverlust, das Menschen in den westlichen Ländern beim Tragen einer Maske verspüren, scheint Gesellschaften in Ost- und Südostasien weniger zu stören – gegenläufig zu dem verbreiteten Vorurteil, Asiaten seien darauf bedacht, ihr „Gesicht zu wahren“.
Die Toilette ist der Grenzbereich zwischen Kultur und Natur
Die andere körperbezogene Reaktion auf die virale Bedrohung, die mich beschäftigt, ist die starke Nachfrage nach Toilettenpapier bei Deutschen und Niederländern. Warum wird Toilettenpapier als eine solch absolute Notwendigkeit empfunden? Aus anthropologischer Sicht ist die Toilette der Grenzbereich zwischen Kultur und Natur. Solange man Toilettenpapier hat, bewahrt man seine Würde und kann dem Virus trotzen, das uns so stark daran erinnert, dass wir Teil der Natur sind. Die natürliche Verletzlichkeit des Körpers auf der Toilette erfordert Praktiken, die eine zivilisierte Distanz zur Natur schaffen.
Auch hier lassen sich wiederum deutliche Unterschiede zu asiatischen Gesellschaften beobachten. In vielen Teilen Asiens reinigt man sich lieber mit Wasser; und auch hier sind die Japaner mit ihren spektakulären Toilettensystemen in der gegenwärtigen Kultur führend. Auf indischen Toiletten hingegen findet man oft nur einen kleinen Topf mit Wasser. Die linke Hand wird auf der Toilette benutzt, die rechte beim Essen. Dabei reinigen Angehörige höherer Kasten kaum ihre Toiletten selbst, sondern greifen auf Dienste unterer Kasten zurück. Ein wichtiger Aspekt der sozialen Reformen Gandhis bestand im Aufruf, dass jeder selbst seine Toilette reinigen sollte. Im ländlichen Raum Chinas ist Toilettenpapier rar, während in den chinesischen Städten das Abwassersystem oft damit überfordert ist. Nur in Hong Kong war während der Pandemie eine große Nachfrage nach Toilettenpapier zu beobachten, vielleicht auch um zu zeigen, dass Hong Kong zum westlichen Kulturraum gehört.
Die drastischste körperliche Reaktion auf das Virus ist letztlich der Tod, das Ende der körperlichen Existenz. Hier haben die Gesellschaften Asiens und des Westens etwas gemeinsam. In mehrerlei Hinsicht wird der Tod hier wie dort verleugnet. Er ist ein Thema, das gemieden, das in Krankenhäuser und auf Friedhöfe verlagert wird. Obwohl der Tod alltäglich ist, habe ich es bis dato nicht erlebt, dass jeden Tag die Zahl der Sterbefälle veröffentlicht wird. In Holland fällt mir auf, wie profan die Reaktionen auf die unvermeidliche Sterblichkeit der Menschen ausfallen. Es besteht vor allem die Sorge, mehr noch die Angst, alleine zu sterben, ohne Familie und Freunde; aber ich habe keine religiösen Reaktionen beobachtet. Dabei fallen der Tod und die Trauer um die Toten eigentlich seit jeher in den Bereich der Religionen. Nur mittels wissenschaftlicher Befragungen und teilnehmender Beobachtungen von Betroffenen, können wir herausfinden, wie die Reaktionen in Asien waren. Doch solche Feldforschung ist uns in diesen Zeiten der Abgrenzung nur schwer möglich.
Dieses Essay ist die gekürzte Version des Blogbeitrags „Global Breathing“, der am 24. April 2020 auf der Webseite des Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften erschienen ist. Aus dem Englischen von Eva Völker.
Die sozialen Kontakte vieler Menschen sind drastisch reduziert.
In vielen Ländern herrschen seit Wochen Kontaktsperren. In der Folge sind die sozialen Kontakte vieler Menschen drastisch reduziert. Roman Wittig vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig untersucht, wie sich Sozialkontakte auf die Gesundheit von Schimpansen auswirken. Einige seiner Erkenntnisse lassen sich durchaus auf den Menschen übertragen. Im Interview erklärt der Wissenschaftler, warum er statt von „sozialer“ lieber von „räumlicher Distanz“ spricht und dass virtuelle reale Treffen zu einem gewissen Grad ersetzen können.
Herr Wittig, wie wichtig sind regelmäßige soziale Kontakte für die Gesundheit von Schimpansen und Menschen?
Wittig: Sehr wichtig. In mehreren Studien konnten wir zeigen, dass Schimpansen ohne enge Freunde anfälliger für Krankheiten sind. Und Julianna Holt-Lunstad kam 2010 nach Auswertung hunderter Studien zu dem Ergebnis, Einsamkeit und ein Mangel an Freundschaften und sozialen Beziehungen habe einen stärkeren negativen Effekt auf die Gesundheit als klassische Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen oder Alkohol. Die positive Wirkung von Sozialkontakten sind sogar stärker als die negativen Folgen gesundheitlicher Risikofaktoren. Überspitzt könnte man also sagen: Anstatt mit dem Rauchen aufzuhören, sollten die Menschen lieber mit ihren Freunden rauchen (lacht). Aber Scherz beiseite. Was die Studie wirklich zeigt ist: Einsamkeit und soziale Isolation sind weit unterschätzte Risikofaktoren für Gesundheit und Lebenserwartung, die dem des Rauchens ebenbürtig ist.
In Zeiten von „Social Distancing“ fällt dies aber gerade nicht leicht…
Zunächst einmal möchte ich eines festhalten: Den Begriff „Social Distancing“ finde ich schlicht falsch – wir sollten lieber von „Spatial Distancing“ sprechen. Räumlich müssen und sollten wir zwei Meter Abstand halten. Aber „socially“ müssten wir im Moment doch besonders eng sein und uns gegenseitig unterstützen, schließlich befinden wir uns aufgrund der Pandemie in einer permanenten Stresssituation: Unser komplettes Leben wird umgekrempelt, plötzlich ist alles anders. Genau jetzt müssten wir uns also noch viel näher sein, ich plädiere hier für „Social Closure“. Glücklicherweise gibt es mittlerweile die Technik, um trotz alledem seine Freunde oder Familie sehen zu können.
Aber es ist doch nicht das gleiche, wenn ich mit Freunden per Videotelefonie kommuniziere, statt sie tatsächlich zu treffen…
Nun, das gleiche ist es natürlich nicht. Vieles lässt sich per Telefon aber ganz gut kompensieren. Lassen Sie mich dazu auf eine Studie der Wissenschaftlerin Leslie Seltzer von der University of Wisconsin-Madison aus dem Jahre 2010 hinweisen. Dabei mussten jugendliche Mädchen den sogenannten Trier-Test absolvieren. Die Probanden wurden dazu aufgefordert, spontan einen Vortrag von einer großen Menschenmenge zu halten. Ohne Möglichkeit, sich vorzubereiten. Ich schätze jeder, der sich an seine Schulzeit zurückerinnert, ahnt, was das bedeutet.
Stress!
Richtig. Die Mädchen befanden sich plötzlich in einer extremen Stresssituation. Die Werte des Stresshormons Kortisol stiegen rasant an, die komplette Stresskaskade inklusive erhöhtem Blutdruck und gesteigerter Herzfrequenz nahm ihren Lauf. Anschließend wurden die Jugendlichen in drei Gruppen eingeteilt. Die Teilnehmer der ersten Gruppe konnten unmittelbar danach ihre Mutter in die Arme schließen, die zweiten durften immerhin mit der Mutter telefonieren und die letzten konnten alleine in einem Zimmer fernsehen. Danach wurde bei allen Probandinnen und Probanden die Konzentration von Kortisol und Oxytocin gemessen. Bei denjenigen, die vor dem Fernseher saßen, war der Kortisol-Wert auch Stunden später noch relativ hoch, während die Konzentration des „Bindungs-verstärkenden“ Oxytocins kaum gestiegen war. Die Bestätigung oder Verstärkung einer Freundschaft oder familiären Bindung ist bei uns oftmals mit einem Glücksgefühl verbunden.
Fernsehen macht also nicht glücklich. Wie sah es bei den anderen beiden Gruppen aus?
Dort zeigte sich das umgekehrte Bild. Bei Teilnehmern, die nach dem Vortrag ihre Mutter in die Arme schließen durften, fiel der Kortisolspiegel rapide ab, gleichzeitig wurde massig Oxytocin ausgeschüttet. Interessanterweise passierte praktisch das gleiche bei denjenigen, die lediglich mit ihrer Mutter telefonieren durften. Die Forschenden um Seltzer konnten nur geringfügige Unterschiede zwischen beiden Versuchsgruppen feststellen. Die Quintessenz lautet also: Gewisse Konzepte von Nähe können auch über Telefon oder Skype bedient werden und kann uns ähnlich glücklich machen wie reale Treffen.
Eine Studie von Ihnen zeigt, dass bei Schimpansen Oxytocin und das Teilen von Nahrung zusammenhängen. Inwiefern trifft das auf uns Menschen zu – machen Hamsterkäufe glücklich?
Tatsächlich haben wir herausgefunden, dass Schimpansen, nachdem sie mit anderen Futter geteilt haben, einen erhöhten Oxytocin-Wert aufweisen. Das kann man aber nicht mit Hamsterkäufen vergleichen, denn für die Schimpansen geht es beim Teilen darum dem anderen etwas zu geben und somit, beispielsweise, Freundschaften zu schließen. Bei Schimpansen scheint Liebe genauso durch den Magen zu gehen wie bei uns. Bei den Hamsterkäufen dagegen spielen Angst und Ungewissheit eine große Rolle, jeder denkt nur an sich selbst.
Forschende des Projekts „PRÄGEWELT“ untersuchen, wie sich Open-Space-Büros auf Wohlbefinden und Arbeit auswirken
Aufgenommen in Rotterdam im ehemaligen Shell Hochhaus.
Wenn derzeit Bürogebäude umgebaut oder neu errichtet werden, entstehen immer öfter sogenannte Open-Space-Arbeitswelten. Das sind durchgängige Büros mit verschiedenen Raumzonen oder Räumen, die für unterschiedliche Anforderungen wie konzentriertes Arbeiten, Besprechungen oder als Rückzugorte genutzt werden können. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Verbundprojekt „PRÄGEWELT“, an dem neben der Albert-Ludwigs-Universität auch das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. München (ISF München) und die beiden Unternehmen RBS München und AECOM München beteiligt sind, haben untersucht, wie sich dieses Bürokonzept auf Wohlbefinden und Arbeit der dort Arbeitenden auswirkt. „In unserer Online-Befragung zeigte sich, dass eine knappe Mehrheit mit der neuen Arbeitsumgebung zufrieden oder sogar sehr zufrieden ist. Die allermeisten Befragten sehen jedoch sowohl Vor- als auch Nachteile“, sagt Wirtschaftspsychologin Cathrin Becker von der Universität Freiburg. Ein Viertel der Befragten sei hingegen sehr unzufrieden. Für die Analyse haben Forschende aus den Fachgebieten Soziologie, Psychologie und Architektur zusammengearbeitet und in acht Betrieben, in denen es bereits Open-Space-Büros gibt, Fallstudien durchgeführt.
Ziel war es, auf dieser Basis Ansätze für eine gesundheitsförderliche
Gestaltung von Open-Space-Büros zu entwickeln und herauszufinden,
welche Faktoren die Zufriedenheit der Beschäftigten beeinflussen. Dazu
führten die Wissenschaftler Expertengespräche und Intensivinterviews,
Beobachtungen und erhoben anhand einer quantitativen Online-Befragung
unterschiedliche Daten unter anderem zu den Arbeitsbedingungen, der
Raumbewertung und -nutzung. Aus Sicht der Forschenden wird das
betriebliche Büro wegen der zunehmenden Digitalisierung dennoch nicht an
Bedeutung verlieren, sondern „als so genannter Hub, in den alle immer
wieder zurückkehren, sozusagen als soziale Heimat weiterhin genutzt
werden“, erläutert Becker. 62,5 Prozent der Befragten haben angegeben,
dass für ihre Tätigkeit in den nächsten zehn Jahren weiterhin ein
Büroarbeitsplatz bei ihrem Arbeitgeber notwendig sein wird. „Dieses
betriebliche Büro wird dann eher ein Open-Space-Büro sein, trotz
Nachteilen und Belastungen“, ergänzt Dr. Nick Kratzer vom ISF München.
Denn trotz der geäußerten Zufriedenheit hat das Konzept Vor- und
Nachteile, die in Form dreier Spannungsfelder von den Beschäftigten als
belastend und herausfordernd erlebt werden: Zum einen soll das
Open-Space-Büro Kooperation fördern, gleichzeitig aber auch
konzentriertes Arbeiten ermöglichen. Des Weiteren soll es Offenheit
durch Transparenz und Sichtbarkeit bieten, muss aber auch
Vertraulichkeit erlauben. Und letztlich soll es Flexibilität
gewährleisten, muss aber auch Optionen für Individualität beinhalten. Um
die Idee des Open-Space-Büros weithin erfolgreich auch in Hinblick auf
Gesundheit und Arbeitsleistung etablieren zu können, braucht es aus
Sicht der Forschenden die nötigen Ressourcen und Optionen: von der
individuellen Fähigkeit, sich zu konzentrieren oder lieber abzuschotten,
über Ressourcen wie Trennwände und Kopfhörer sowie unterschiedliche
Raumoptionen. Dazu gehören Rückzugsräume und Telefonboxen ebenso wie die
Möglichkeit, ins Home Office zu gehen. „Der Umgang mit dem Konzept ist
nicht allein eine Frage des Verhaltens oder von Regeln, sondern es
müssen bestimmte Lernprozesse zielgerichtet von organisatorischer Seite
unterstützt werden“, fügt die Wirtschaftspsychologin von der Universität
Freiburg hinzu.
Die Abkürzung PRÄGEWELT steht für „Präventionsorientierte Gestaltung
neuer Open-Space-Arbeitswelten“ und ist ein vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Innovationen für die
Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ gefördertes und vom
Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreutes Projekt. Alle Ergebnisse sind
auf www.praegewelt.de zu finden.
Die Bereitschaft, einen Menschen zu opfern, um mehrere zu retten, unterscheidet sich von Land zu Land. Das zeigt eine wissenschaftliche Studie, an der 70.000 Personen in 42 Ländern teilgenommen haben. Ein Forschungsteam rund um Iyad Rahwan, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, untersuchte dabei weltweite Gemeinsamkeiten und Unterschiede in moralischen Entscheidungen.
Ist es in Ordnung, einen Menschen zu opfern, um mehrere Menschen zu
retten? Diese Frage wird seit Jahrzehnten in Philosophie, Ethik und
Rechtswissenschaften anhand eines bekannten moralischen
Gedankenexperiments diskutiert: des Trolley-Problems. Eine Straßenbahn –
auf Englisch „Trolley“ – fährt ungebremst auf fünf im Gleis arbeitende
Menschen zu. Der Weichensteller könnte die Straßenbahn auf ein
Nebengleis umleiten, auf dem nur ein Mensch arbeitet. Soll er den einen
Menschen opfern, um fünf Menschen zu retten?
„Im Zuge der Debatte um autonome Fahrzeuge hat das Trolley-Problem
ein Revival erfahren“, sagt Iyad Rahwan, Direktor des Forschungsbereichs
Mensch und Maschine am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und
erläutert: „Wie sollen selbstfahrende Fahrzeuge sich verhalten, wenn ein
Unfall nicht zu verhindern ist? Soll das Fahrzeug einer Menschengruppe
ausweichen und dabei den Insassen des Autos opfern? Universelle
Grundätze, an die sich Ingenieurinnen und Programmierer von autonomen
Fahrzeugen halten könnten, gibt es nicht.“
Die groß angelegte Moral-Machine-Umfrage, die Iyad Rahwan 2017 mit
seinem Team am Massachusetts Institute of Technology durchgeführt hat,
zeigte darüber hinaus, dass Menschen je nach Kulturkreis autonome
Fahrzeuge in solchen Situation unterschiedlich programmieren würden.
Während sich frühere Studien auf Unfälle von autonomen Fahrzeugen
konzentrierten, hat sich Iyad Rahwan mit seinem Team nun mit den
klassischen Versionen des Trolley-Problems beschäftigt. Das ist wichtig,
da das Trolley-Problem in der Philosophie und Psychologie viel besser
verstanden wird. Dazu hat das Forschungsteam die Entscheidungen zu drei
Varianten des Trolley-Problems von 70.000 Testpersonen aus 42 Ländern
analysiert.
Unterschied zwischen In-Kauf-nehmen und Instrumentalisieren
Im ersten Szenario, dem klassischen Trolley-Problem, konnten die
Teilnehmenden die Weiche umstellen und den Waggon auf ein Nebengleis
lenken. Ein dort arbeitender Mensch stirbt, fünf Menschen auf dem
Hauptgleis sind gerettet.
Im zweiten Szenario macht das Nebengleis eine Schleife zum Hauptgleis
zurück, auf dem fünf Menschen arbeiten. Das Umstellen der Weiche führt
zum Tod des auf dem Nebengleis arbeitenden Menschen. Sein Körper
verhindert jedoch, dass der Waggon auf das Hauptgleis zurückrollt. Im
Unterschied zum ersten Szenario wird der Tod des einzelnen Menschen
nicht nur in Kauf genommen, sondern ist notwendig, um die anderen fünf
zu retten.
Im dritten Szenario kann ein großer Mann von einer Fußgängerbrücke
auf die Schienen gestoßen werden, wobei sein Körper den Waggon aufhält
und fünf andere Menschen rettet. Auch hier wird der Tod des einzelnen
Menschen nicht nur in Kauf genommen, sondern ist notwendig, um das Leben
der anderen zu retten.
Vergleicht man die drei Situationen, würden in allen Ländern ein
größerer Teil der Befragten einen Menschen im ersten Szenario opfern als
im zweiten und am wenigsten im dritten. Die Bereitschaft den Tod eines
Menschen in Kauf zu nehmen, um andere zu retten, ist weltweit größer,
als den Tod eines Menschen zu instrumentalisieren, wie es im zweiten und
dritten Szenario der Fall ist.
Abweichungen zwischen westlichen und asiatischen Ländern
Unterschiede zwischen den Ländern gab es jedoch in der generellen
Bereitschaft, Menschen zu opfern. Im ersten Szenario würden es
beispielsweise 82 Prozent der Deutschen billigen, den einzelnen Menschen
zu opfern, in den meisten westlichen Ländern sind die Werte ähnlich.
Lediglich in einigen ostasiatischen Ländern ist das Ausmaß der
Bereitschaft, einen Menschen für das Leben mehrerer zu opfern,
auffallend geringer. In China beispielsweise billigen nur 58 Prozent,
die Weiche im ersten Szenario umzustellen.
Im dritten Szenario weichen die Antworten zwischen den Ländern
stärker voneinander ab. So stimmen 49 Prozent der Befragten in
Deutschland zu, den großen Mann von der Fußgängerbrücke zu stoßen, in
Vietnam sind es hingegen 66 Prozent, in China nur 32 Prozent.
Im Vergleich mit anderen bereits erforschten Eigenarten in den
Ländern fand das Team einen auffälligen Zusammenhang: In Ländern, in
denen es schwierig ist, außerhalb von traditionellen sozialen Gebilden,
wie Familie oder Beruf, neue Beziehungen zu knüpfen, ist auch die
Bereitschaft einen Menschen zu opfern geringer. Die Wissenschaftler
vermuten, dass Menschen davor zurückschrecken, kontroverse und
unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn sie Angst haben, ihre
aktuellen Beziehungen zu verlieren.
„Die Menschen befürchten möglicherweise, dass sie als ‚Monster‘
wahrgenommen werden könnten, wenn sie bereit sind, das Leben eines
Menschen für das Allgemeinwohl zu opfern.“ sagt Iyad Rahwan. Es sei noch
zu früh, um einen klaren, kausalen Zusammenhang zwischen den
kulturspezifischen, moralischen Entscheidungen der Menschen und der
Leichtigkeit, mit der sie neue Beziehungen eingehen können,
herzustellen. „Es gibt jedoch vermehrt Anzeichen dafür, dass die Art und
Weise, wie das persönliche Ansehen in einer bestimmten Kultur gepflegt
wird, die moralischen Intuitionen der Menschen aus dieser Kultur
beeinflussen kann.“
Hochschulen, Wirtschaftsverbände und
Unternehmen in der trinationalen Metropolregion Oberrhein wollen beim
Wissens- und Technologietransfer künftig noch intensiver
zusammenarbeiten. Das von der Europäischen Union (EU) geförderte Projekt
Knowledge Transfer Upper Rhine (KTUR) soll dafür die Grundlagen
schaffen. Angesiedelt ist es am Karlsruher Institut für Technologie
(KIT).
Die trinationale Metropolregion Oberrhein verbindet Märkte in
Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Hier sind zahlreiche
Wissenschaftseinrichtungen, Cluster und Unternehmen heimisch und machen
die Region schon heute zum Vorreiter europäischer Kooperation. Weitere
starke Impulse für das Wachstum und die Beschäftigung in der Region
könnten von einer Intensivierung der Zusammenarbeit in Forschung und
Entwicklung, bei Lizenzierungen oder grenzüberschreitenden Gründungen
ausgehen. Mit diesem Ziel soll der grenzüberschreitende Wissens- und
Technologietransfer nun mit dem neuen EU-Projekt Knowledge Transfer
Upper Rhine (KTUR) verstärkt werden. Die EU fördert KTUR in den nächsten
drei Jahren mit 1,6 Millionen Euro – Koordinator des Projekts mit
insgesamt 12 Partnern aus Universitäten und Hochschulen ist das KIT. Die
zwei teilnehmenden Hochschulen aus der Nordwestschweiz werden auf
Schweizer Seite mit Bundes- und Kantonsmitteln aus den Kantonen Aargau,
Basel-Landschaft und Jura mit ungefähr 300 000 Euro gefördert. Das
Gesamtbudget des Projekts beträgt 3,9 Millionen Euro.
„Der Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft ist eine der
Kernaufgaben des KIT“, so Professor Thomas Hirth, Vizepräsident für
Innovation und Internationales des KIT. „Es ist uns ein Anliegen, sowohl
unsere langjährigen Erfahrungen weiterzugeben als auch von den Partnern
zu lernen – mit dem Ziel, den grenzüberschreitenden Transfer noch
weiter zu verbessern. Wir freuen uns auf drei Jahre intensive
Kooperation“.
Initiiert wurde KTUR innerhalb des Verbunds Eucor – The European
Campus, in dem die Universität Basel, die Universität Freiburg, die
Université de Haute-Alsace, das KIT und die Université de Strasbourg
gemeinsam einen trinationalen Hochschulraum mit aktuell 115 000
Studierenden und 15 000 Forscherinnen und Forschern bilden. Eucor ist
zudem assoziierter Partner in KTUR.
Eine gemeinsame Identität beim Wissens- und Technologietransfer
Mit dem Aufbau eines auf Langfristigkeit ausgelegten Netzwerks am
Oberrhein wollen Hochschulen und Wirtschaftsverbände grenzüberschreitend
voneinander lernen, eine gemeinsame Identität im Bereich des Wissens-
und Technologietransfers am Oberrhein schaffen und damit bestehende
Barrieren reduzieren, um die grenzüberschreitende Kontaktaufnahme und
die Projektanbahnung zwischen Hochschulen und Unternehmen deutlich zu
vereinfachen und zu verstärken. „Zudem birgt ein gemeinsames Denken und
Handeln vielfältige Chancen für den internationalen Auftritt der Region
und damit weitere Kooperationsmöglichkeiten weltweit“, erläutert Dagmar
Vössing vom KIT, in deren Verantwortungsbereich das Projekt liegt.
Um diese Ziele zu erreichen, werden Lösungsansätze für ausgewählte
Handlungsfelder konzipiert, die im Projekt als Pilotmaßnahmen unter der
aktiven Beteiligung von mindestens 100 Unternehmen umgesetzt und erprobt
werden. Dazu werden mehrere Aspekte untersucht, unter anderem die
Strukturierung der Zusammenarbeit der Universitäten und Hochschulen am
Oberrhein sowie die Formulierung und Erprobung eines gemeinsamen
Angebots zum Wissens- und Technologietransfer, beispielsweise in den
Bereichen Weiterbildung, Start-ups, grenzüberschreitende
Innovationsveranstaltungen, Single Entry-Point für die Industrie und
eine modular anpassbare Research-to-Business Informations- sowie
Austauschplattform. Die wirksamsten Maßnahmen sollen nach Abschluss des
Projektes verstetigt werden.
Als „Die Forschungsuniversität in der
Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für
Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen
maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information
zu leisten. Dazu arbeiten rund 9 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-,
Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine
25 100 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes
universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft,
Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt
die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen
Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen
Lebensgrundlagen.
Wer ist – über die formale Funktion hinaus – eine Führungskraft und was zeichnet eine gute Führungskraft aus?
Das bestimmen letztendlich deren Mitarbeitende, so Prof. Jürgen Weibler von der Fernuniversität in Hagen.
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Was macht eine Führungskraft zu einer guten? Was überhaupt ist Führung? „Andere werden durch eigenes, sozial akzeptiertes Verhalten so beeinflusst, dass dies bei ihnen mittelbar oder unmittelbar ein gewünschtes Verhalten bewirkt“, definiert Prof. Dr. Jürgen Weibler, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalführung und Organisation an der FernUniversität in Hagen. Er ist u.a. Gründungsmitglied des Forscherverbundes GLOBE (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness). Bei GLOBE geht es um die Attribute und Verhaltensweisen einer herausragenden Führungskraft im interkulturellen Vergleich, aber auch um Führungsstrategien und Führungserfolg.
Eine „Führungskraft“ bezeichnet zunächst eine Person mit einer formalen Führungsfunktion, z.B. als Abteilungsleiterin oder Abteilungsleiter. Was eine gute Führungskraft ist, bestimmen nach Weiblers Auffassung deren Mitarbeitende: Sie entscheiden, ob eine Person überhaupt eine Führungsperson, also eine Führungskraft im wörtlichen Sinne, ist. Erfüllt diese Person die Attribute und Verhaltensweisen gut, die ihre Mitarbeitenden einer Führungskraft zuordnen, ist sie für diese eine gute Führungskraft.
Welche Attribute und Verhaltensweisen das sind, hängt von den Umständen ab. Bandenmitglieder erwarten von ihrer Anführerin oder ihrem Anführer Einsatz für die Gruppe mit physischer Kraft. Im Management sind analytische Schärfe und ähnliche Fähigkeiten gefragt. Das kann nicht nur nach Gruppentypen, sondern auch nach Kontexten variieren: Wenn sich Akademikerinnen und Akademiker über verschiedene Theorien austauschen, könnte eine Person an Einfluss gewinnen, die die verschiedenste Argumente sensitiv abwägt, Impulse setzt, einer Diskussion viel Zeit gibt und Abschlusspositionen ohne Widerspruch formuliert. Dagegen wird etwa bei einem Polizeieinsatz mit der Führungskraft handfeste Gefahrenabwehr, Schnelligkeit und Gesetzestreue verbunden.
Auf neue Situationen muss sich jede Führungskraft schnell und flexibel einstellen können. Bei umfassenden Recherchearbeiten mit längerem Zeithorizont wäre die Erwartung des Teams zum Beispiel, zum gegenseitigen Austausch und zu Diskussionen zu ermuntern. Bei einer brandaktuellen Nachrichtenlage würde die Teamführung vielleicht innerhalb kürzester Zeit Ergebnisse fordern: „Leute, ich brauche das in einer halben Stunde!“ und ebenso die Erwartung treffen.
In der Theorie hat jede Gruppe von Geführten – und auch deren einzelne Mitglieder – individuelle Vorstellungen von guter und schlechter Führung. Empirisch ist das anders: „Es gibt durchaus Vorstellungen, die von den allermeisten geteilt werden“, so Weibler. Etwa die Erwartung, dass eine Führungsperson gegenüber allen respektvoll ist oder andere inspirieren kann. „Beim GLOBE-Projekt haben wir weltweit Menschen danach befragt, was nach ihrer Meinung Attribute und Verhaltensweisen einer herausragenden Führungskraft sind. Da gab es Gemeinsamkeiten, z.B. sich auch selbst sehr stark für das Gruppenziel einzusetzen, also Vorbild zu sein. Ein anderes Attribut war Entscheidungsfreude.“ Unbeliebt sind dagegen „Kontrollfreaks“: Die Mitarbeitenden wollen eine gewisse Handlungsfreiheit haben. Erwartet wird weltweit auch, dass Vorgesetzte Erfolge anderer nicht für sich verbuchen und andere materiell nicht ausbeuten. Oft werden Extrovertiertheit und Integrität erwartet, hier und da auch, dass eine Führungsperson groß ist oder aus einer bestimmten höheren sozialen Schicht kommt.
Gerechtigkeit am wichtigsten
Höchste Priorität hat laut empirischen Studien fast immer Gerechtigkeit. Drei Formen sollte man sich, so Weibler, merken:
Zum einen die „prozedurale Form“: Benutzt die Führungskraft zur Beurteilung von Sachverhalten und für die Mitarbeitende betreffende Entscheidungen eine Methodik, die diese nachvollziehen und akzeptieren können?
Bei der zweiten Form, der „Verteilungsgerechtigkeit“, geht es darum, Lob und Anerkennung, aber auch materielle Zuwendungen je nach Kultur beispielsweise gleich oder nach erbrachten Leistungen zu verteilen. Sieht bei den Leistungen die Führungskraft die Beiträge, die jemand für die Gruppe erbringt? Setzt sie das in Relation zu dem, was sie den Einzelnen gibt?
Die dritte Form von Gerechtigkeit ist die „interaktionelle Form“: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Sie fällt als erste ins Gewicht, weil sie allgegenwärtig und unmittelbar ist. Wird Gerechtigkeit wahrgenommen, sind die Gruppenmitglieder zufriedener und produktiver, es gibt weniger Konflikte. Verhaltensweisen wie besonderes Engagement oder Solidarität, die man nicht per Vertrag einfordern kann, werden gefördert.
Ungerechtigkeit beeinflusst die Atmosphäre in der Gruppe dagegen grundsätzlich negativ. „Ungerechte“ Vorgesetzte erzeugen Frustrationen, diese Schwierigkeiten im Miteinander der Gruppe. Weibler: „Wer frustriert ist, ist selten aufgeschlossen oder gar freundlich und zuvorkommend.“
Die Mitarbeitenden müssen sich also überlegen: Was erwarten wir eigentlich von einer idealen Führungskraft – und zwar in Bezug auf ihre jeweiligen Aufgaben. „Wir sind überwiegend in einem Kulturraum aufwachsen, werden von gleichen Medien beeinflusst. Unsere Sozialisationen sind meisten einigermaßen ähnlich verlaufen“, so Weibler. „Daher erwarten wir ähnlich Merkmale oder Verhaltensweisen auch von einer Führungskraft. Je mehr sie unseren Erwartungen entspricht, desto besser finden wir sie.“
Gewünschte Resultate „provozieren“
Folgt man bestimmten Führungstheorien, können gewünschte Resultate mit einer höheren Wahrscheinlichkeit „provoziert“ werden. Die häufig herangezogene „Transformationale Führungstheorie“ nennt vier Bereiche: • „Inspirierende Motivation“: Ziele so zu verdeutlichen, dass andere Lust haben, diese zu erreichen; auch schwierigen, manchmal unangenehmen Aufgaben eine interessante Seite abgewinnen zu können. • „Intellektuelle Stimulierung“: Mitarbeitende zum Nachdenken darüber anregen zu können, wie man etwas einmal anders und besser machen kann; zum Perspektivenwechsel ermuntern. • „Individueller Blick“: jemanden als Persönlichkeit und nicht nur als Personal sehen, die Person für eine individuelle Ansprache besser kennenlernen; dabei spielen Wünsche, Vorstellungen, Sehnsüchte, Bedürfnisse und Motive eine große Rolle, aber auch die Lebenssituation: Wenn man weiß, dass sich jemand beweisen will, kann man ihr eine ‚Herausforderung‘ geben. Hat jemand ein großes ‚Anschlussbedürfnis‘, kann die intensive Kommunikation in einem großen Team anregend sein. • „Persönliches Beispiel“: als Person wirken und überzeugen. Also wie man Probleme angeht, wie man kommuniziert, wie man sich einsetzt, wertorientiert handelt, nicht erratisch herüberkommt und in gewisser Weise als „anregend“ und „vorbildhaft“ wahrgenommen wird. Dazu kann auch die Umsetzung einer verteilten, gar gemeinsam erlebten Führung – die die klassische Trennung (temporär) aufhebt – gehören.
An dieser Vorbild-Funktion setzt auch die Authentizität an: Nehme ich jemanden als authentisch wahr, als eine Person, die weiß, wo sie steht? Die das kommuniziert, was sie denkt und zu dem steht, was sie tut? Ist das der Fall, ist das ein wichtiger Beitrag dafür, als gute Führungskraft wahrgenommen zu werden. Weibler: „Nicht authentisch zu sein wird von anderen meistens schnell erkannt und abgelehnt!“
Vortrag von Michael Lauk vom Freiburger Start-up „neuroloop“
Dr. Michael Lauk, Geschäftsführer des Freiburger Start-ups „neuroloop“, spricht am 11. Juli 2018 zum Thema „Starting without Ending: Insights into 20 years of founding and managing Life-Science Start-ups“. An den Vortrag wird sich eine Podiumsdiskussion zum Thema anschließen, die Prof. Dr. Thomas Stieglitz vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg leitet. Die Veranstaltung ist Teil der Seminarreihe „Academia meets Industry – A Political-Scientific Discussion“. Ihr Ziel ist es, die Universität disziplinübergreifend mit Gastvortragenden aus der Industrie und Organisationen des öffentlichen Gesundheitswesens ins Gespräch zu bringen und einen Dialog über Chancen und Risiken der Entwicklungen der Lebenswissenschaften zu ermöglichen.
Forschungsteam um Freiburger Psychologen deckt bislang unbekannte Effekte auf
Wie sie genau funktioniert, ist unbekannt – doch der Mensch verfügt über eine innere Uhr, die es ermöglicht, Zeiträume unbewusst wahrzunehmen und abzuschätzen. Ein Forschungsteam um Dr. Roland Thomaschke vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg hat in Experimenten gezeigt: Emotionen bewirken, dass sich dieses mentale Zeitverarbeitungssystem schnell und flexibel an zeitliche Vorhersagemuster anpassen kann. Die Studie ist im Fachjournal „Emotion“ erschienen.
Die Psychologinnen und Psychologen nehmen in ihrer Arbeit den Zeitraum von einer bis drei Sekunden in den Blick. Ihre Probandinnen und Probanden hatten die Aufgabe, auf dem Computerbildschirm nacheinander eingeblendete Substantive nach Geschlecht zu ordnen. Beim Übergang zum nächsten Wort wurde jeweils ein kleines Kreuz gezeigt. Was den Probanden nicht klar war: Es handelte sich allesamt um positiv oder negativ besetzte Begriffe wie Liebe und Freundschaft auf der einen, Folter und Tod auf der anderen Seite. Bei den meisten positiv besetzten Substantiven erschien das Kreuz zuvor für eine halbe Sekunde, bei den meisten negativ besetzten für zwei Sekunden. „Das Muster beeinflusste die Probanden, obwohl es ihnen nicht bewusst war“, sagt Thomaschke: „War die Kombination ungewöhnlich, etwa ein langes Intervall vor einem positiven Begriff, hatten sie größere Schwierigkeiten, das Geschlecht richtig zuzuordnen.“ Diese Irritation trat allerdings nicht auf, wenn keine Emotionen im Spiel waren: Bei anderen Probanden verwendeten die Psychologen konkrete und abstrakte Begriffe anstelle von positiv und negativ besetzten – dann jedoch war der Effekt nicht zu beobachten.
Dieses Ergebnis trägt dazu bei, menschliche Wahrnehmungsmuster besser zu verstehen. In Gesprächen beispielsweise ist zu beobachten, dass positive, zustimmende Antworten in der Regel schneller gegeben werden als negative, ablehnende. Diese Erfahrung hat zur Folge, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Online-Konferenz, deren Redebeiträgen stets eine technisch bedingte zeitliche Verzögerung vorausgeht, von den anderen oft als negativ wahrgenommen werden – die Alltagserfahrung wird unbewusst auf die Konferenzsituation übertragen. Außerdem lassen sich aus den Resultaten Hinweise ableiten, wie es möglich sein kann, die Aufmerksamkeit von Menschen zu gewinnen. Wird beispielsweise auf einer Website nach der immer gleichen Zeitspanne Werbung eingeblendet, können die Nutzerinnen und Nutzer dies unbewusst vorhersagen und daher besser ignorieren. Für den Werbetreibenden wäre es daher sinnvoll, die Einblendungen zeitlich unregelmäßig zu schalten – und damit Aufmerksamkeit durch Irritation zu erlangen.
Originalpublikation:
Thomaschke, R./Bogon, J./Dreisbach, G. (2017): Timing Affect: Dimension-Specific Time-Based Expectancy for Affect. In: Emotion.