Burnout in der Box

Gedanken in der Nachspielzeit

Nils Petersen war in seiner Kindheit kein Überflieger. Er flog auch nicht – wie Nils Holgersson – mit den Wildgänsen durch die Lüfte. Sein „Luftraum“ war die Box, der „Sechzehner“, und seine Hauptaufgabe, Tore zu machen – egal wie. Und das gelang ihm wie keinem anderen.

Das Buchcover zeigt Nils Petersen auf einer Bank sitzend. Im Hintergrund das SC Freiburg Stadion,

Die Bälle flogen ihm entgegen, maßgeschneidert, präzise in den Strafraum – das war sein Terrain, da war er zu Hause in fast jedem Stadion dieser Republik.

Immer im richtigen Moment da, wo auch der Ball war, oder hin gezirkelt wurde. Fast immer zum richtigen Zeitpunkt eingewechselt – eine Ikone als Top-Joker beim SC Freiburg und in der Bundesliga bis heute.

Und doch ist da weit mehr zu erwähnen über die „Selbstgespräche eines Fußballprofis“, die Nils Petersen in seinem ersten Buch „Bank-Geheimnis“ niedergeschrieben hat.

Ein selbstkritischer Rückblick eines Fußballprofis, der ebenso selbstsicher mit Sprache umgeht, wie viele Mitspieler und Fans ihn mit dem Ball erlebt haben.

Diese Selbstsicherheit aber war für einen Moment unterbrochen – wie er in Kapitel 25 „Menschliche Züge“ beschreibt.

Nach seinen sportlichen und medialen Höhepunkten im Jahr 2018 beschreibt er ein noch nie erlebtes Unwohlsein samt Herzrasen und Magenbeschwerden, sowie schlaflosen Nächten. Eisern hält er sich aufrecht, um seinen ersten Einsatz in der deutschen Nationalmannschaft nicht zu verpassen – eine Sternstunde für jeden Fußballer.

Diese Erfahrung gipfelte in der Erkenntnis, sich Unterstützung zu holen und 18 Monate lang therapeutische Begleitung zu suchen.

Ein Transformationsprozess mit offenem Ausgang, den er und sein näheres Umfeld mit einem „neuen“ Nils Petersen begrüßen konnten.

Gewiss haben diese und andere Erfahrungen dazu beigetragen, dass Nils Petersen mit Wohlwollen, Wertschätzung und Dankbarkeit auf seine Entwicklung zum Profi anerkennend zurückblicken kann.

Dies beschreibt er exzellent und in einem selbstkritischen „Plauderton“ auf 174 Seiten. Ein Buch, das sich unterhaltsam liest – mit menschlichem Tiefgang – und Einblick gibt in die inneren und äußeren Prozesse eines Profifußballers, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat und damit persönliche und berufliche Erfolge feiern konnte.

Gleichzeitig ist es ein „Lehrbuch“ für aktuelle und angehende Profis, die sich dieser Sportart mit ganzem Herzen verschrieben haben, und sich bewusst oder unbewusst in das Mahlwerk eines durchkapitalisierten Businessbetriebs begeben, der eine ganz eigene Dynamik entwickelt.

In diesem Umfeld verkörpert Nils Petersen nicht nur die alten deutschen Fußballtugenden wie Ausdauer, Disziplin und Kampfgeist, sondern – heute noch wichtiger – die neuen Tugenden und Werte wie Respekt, Demut und Wertschätzung.

Nils Petersen ist zu wünschen, dass er in seiner „SCF-Vereinsfamilie“ einen angemessenen Platz findet, wo er im besten Sinne mit seiner reflektierten, kritischen Haltung Einfluss nehmen kann und dem sportlich-menschlichen Aspekt weiterhin Größe verleiht.

Eine Leseempfehlung mit Höchstpunktzahl für alle, die sich der Magie des Spiels aktiv und passiv verschrieben haben und – Nils Holgersson gleich – bei jedem Tor in die Lüfte abheben.

Hans-Josef Hinken

  • Verlag Herder
  • 1. Auflage 2023
  • Klappenbroschur
  • 176 Seiten
  • ISBN: 978-3-451-03438-1