Rechtsgutachten empfiehlt erweiterte Mitbestimmungs- und Schutzrechte für Beschäftigte
Digitale Technologien ermöglichen eine immer umfassendere Überwachung
von Beschäftigten, zugleich übernehmen schwer durchschaubare
Algorithmen Aufgaben im Personalmanagement, die bislang Menschen
vorbehalten waren. Um Missbrauch zu verhindern, sollte die Mitbestimmung
von Betriebsräten ausgebaut werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein neues
Gutachten von Prof. Dr. Peter Wedde. Zusätzlich rät der Arbeitsrechtler,
den Einsatz von Informationen in arbeitsgerichtlichen
Auseinandersetzungen, die Arbeitgeber unter Verstoß gegen einschlägige
gesetzliche Verarbeitungsverbote oder -beschränkungen erlangt haben,
gesetzlich zu unterbinden. Die Expertise ist Teil des von der
Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekts „Automatisiertes
Personalmanagement und Mitbestimmung“ unter der Leitung von
AlgorithmWatch.
Die Digitalisierung krempelt das Personalmanagement um:
Selbstlernende Algorithmen machen es möglich, bestimmte Aufgaben
komplett zu automatisieren. Programme können beispielsweise
Bewerbungsunterlagen sortieren und geeignete Kandidaten herausfiltern,
per Sprachanalyse Interviews auswerten, durch die Analyse von
Beschäftigtendaten Empfehlungen für Weiterbildungen oder Kündigungen
generieren. Der Rechtswissenschaftler Peter Wedde von der Frankfurt
University of Applied Sciences hat sich in seinem Gutachten mit dieser
Entwicklung auseinandergesetzt. Seine Empfehlung: „Um Beschäftigte vor
den Möglichkeiten und insbesondere vor dem immanenten hohen
Kontrollpotential zu schützen, das sich mit KI-Software und mit
selbstlernenden Algorithmen verbindet, ist ein Ausbau bestehender
Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte durch den Gesetzgeber
unumgänglich.“
Wenn Unternehmen in großem Umfang Personaldaten erfassen und von
Künstlicher Intelligenz (KI) auswerten lassen, werden dem Gutachten
zufolge völlig neue Formen der Überwachung möglich, die mit erheblichen
Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten verbunden
sind. Um zu entscheiden, inwieweit solche Eingriffe zulässig sind, müsse
das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre mit den Interessen des
Arbeitgebers abgewogen werden. Dabei gelte das Prinzip der
Verhältnismäßigkeit. Es sei „im Arbeitsleben nicht alles erlaubt, was
geht, sondern nur, was einerseits aus objektiver Sicht erforderlich ist
und was andererseits von mehreren Alternativen diejenige ist, die am
wenigsten in das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten eingreift.“
Was rechtlich nicht geht, lasse sich unter anderem aus Urteilen zur
Zulässigkeit von Videoüberwachung im Betrieb ableiten, schreibt Wedde.
Permanente digitale Überwachung der Beschäftigten wäre demnach
unverhältnismäßig. Heimliche Kontrollen seien nur dann erlaubt, wenn der
konkrete Verdacht auf eine strafbare Handlung oder eine andere schwere
arbeitsrechtliche Pflichtverletzung besteht. Im Umkehrschluss heiße das:
Arbeitgeber sind verpflichtet, den Beschäftigten die Funktionsweise der
eingesetzten KI-Systeme offenzulegen. Die Informationen müssen
verständlich, nachvollziehbar und für jeden zugänglich sein.
Auch Betriebsräte haben laut dem Autor in diesem Zusammenhang
umfangreiche Informationsansprüche. Denn zu ihren Aufgaben gehöre es,
die Einhaltung der zugunsten von Beschäftigten geltenden Gesetze zu
überprüfen. Um einschätzen zu können, ob KI-Systeme beispielsweise
bestimmte Arbeitnehmer diskriminieren und damit gegen das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz verstoßen, sei eine genaue Kenntnis der
eingesetzten Algorithmen nötig.
Wie arbeitet der Algorithmus? Arbeitgeber müssen Informationen geben können
Bisweilen, so der Rechtswissenschaftler, seien Betriebsräte damit
konfrontiert, dass Arbeitgeber selbst nicht über die notwendigen
Informationen verfügen, weil Anbieter komplexer
Personalinformationssysteme ihre Algorithmen geheim halten oder weil die
Funktionsweise selbstlernender Software auch den Anbietern nicht mehr
vollständig bekannt ist. Dieses Argument sei wenig schlüssig:
Arbeitgeber könnten sich nicht auf die Position des Nichtwissens
zurückziehen und so Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung aushebeln. „Sie
müssen bei der Auswahl von IT-Systemen sicherstellen, dass sie über die
hier hinterlegten Algorithmen so umfangreich informiert werden können,
dass sie sowohl ihren Arbeitnehmern als auch den zuständigen
Betriebsräten die diesen gesetzlich zustehenden Informationen geben
können.“
Über die Informationsansprüche hinaus hätten Betriebsräte auch
einschlägige wirksame Mitbestimmungsrechte, betont der Jurist. Das
Betriebsverfassungsgesetz sieht beispielsweise vor, dass
Arbeitnehmervertreter mitbestimmen können bei der Einführung technischer
Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, Verhalten oder Leistung zu
überwachen.
Um die Rechte der Beschäftigten wirksam zu schützen, empfiehlt Wedde
zum einen die Einführung eines gesetzlichen „Beweisverwertungsverbots“
für widerrechtlich erlangte Informationen. Bislang könnten Arbeitgeber
solche Informationen für arbeitsrechtliche Maßnahmen nutzen und sogar
mit Aussicht auf Erfolg bei einem Prozess vor dem Arbeitsgericht
verwenden. Zweitens sollten Arbeitgeber gesetzlich ausdrücklich
verpflichtet werden, nur solche Techniken einzusetzen, deren
Funktionsweise sie detailliert kennen. Drittens sei ein Ausbau der
Mitbestimmungsrechte unumgänglich. Betriebsräte sollten einen Anspruch
darauf haben, einen externen Sachverständigen nach eigener Wahl
hinzuziehen, wenn es um KI geht. Außerdem brauche es ein
Mitbestimmungsrecht zum Datenschutz.
Weitere Informationen:
Peter Wedde: Automatisierung im Personalmanagement – arbeitsrechtliche Aspekte und Beschäftigtendatenschutz (pdf). Rechtsgutachten, vorgelegt im Rahmen des Projekts „Automatisiertes Personalmanagement und Mitbestimmung“.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website von AlgorithmWatch.
Dort gibt es unter anderem einen praktischen Leitfaden für Fragen, die
Betriebsräte der Unternehmensleitung möglichst vor der Einführung neuer
Systeme stellen sollten, die aber auch zu bereits eingeführten Systeme
gestellt werden können. Zusammen mit den Fragen liefert dieser Leitfaden
Erläuterungen, wie Antworten einzuordnen sind und was sie beinhalten
sollten.
Praxiswissen finden Betriebs- und Personalräte auch in der Analyse (pdf) einer exemplarischen Betriebsvereinbarung zur Einführung eines neuen HR-Management-Systems, die das I.M.U. der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht hat.
Dr. Stefan Lücking
Forschungsförderung, Experte für Digitalisierung und Mitbestimmung