Neue Arbeitswelten

Forschende des Projekts „PRÄGEWELT“ untersuchen, wie sich Open-Space-Büros auf Wohlbefinden und Arbeit auswirken

Foto wurde in Rotterdam im Shell Hochhaus bei einer Kunstaktion aufgenommen.
Aufgenommen in Rotterdam im ehemaligen Shell Hochhaus.

Wenn derzeit Bürogebäude umgebaut oder neu errichtet werden, entstehen immer öfter sogenannte Open-Space-Arbeitswelten. Das sind durchgängige Büros mit verschiedenen Raumzonen oder Räumen, die für unterschiedliche Anforderungen wie konzentriertes Arbeiten, Besprechungen oder als Rückzugorte genutzt werden können. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Verbundprojekt „PRÄGEWELT“, an dem neben der Albert-Ludwigs-Universität auch das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. München (ISF München) und die beiden Unternehmen RBS München und AECOM München beteiligt sind, haben untersucht, wie sich dieses Bürokonzept auf Wohlbefinden und Arbeit der dort Arbeitenden auswirkt. „In unserer Online-Befragung zeigte sich, dass eine knappe Mehrheit mit der neuen Arbeitsumgebung zufrieden oder sogar sehr zufrieden ist. Die allermeisten Befragten sehen jedoch sowohl Vor- als auch Nachteile“, sagt Wirtschaftspsychologin Cathrin Becker von der Universität Freiburg. Ein Viertel der Befragten sei hingegen sehr unzufrieden. Für die Analyse haben Forschende aus den Fachgebieten Soziologie, Psychologie und Architektur zusammengearbeitet und in acht Betrieben, in denen es bereits Open-Space-Büros gibt, Fallstudien durchgeführt.

Ziel war es, auf dieser Basis Ansätze für eine gesundheitsförderliche Gestaltung von Open-Space-Büros zu entwickeln und herauszufinden, welche Faktoren die Zufriedenheit der Beschäftigten beeinflussen. Dazu führten die Wissenschaftler Expertengespräche und Intensivinterviews, Beobachtungen und erhoben anhand einer quantitativen Online-Befragung unterschiedliche Daten unter anderem zu den Arbeitsbedingungen, der Raumbewertung und -nutzung. Aus Sicht der Forschenden wird das betriebliche Büro wegen der zunehmenden Digitalisierung dennoch nicht an Bedeutung verlieren, sondern „als so genannter Hub, in den alle immer wieder zurückkehren, sozusagen als soziale Heimat weiterhin genutzt werden“, erläutert Becker. 62,5 Prozent der Befragten haben angegeben, dass für ihre Tätigkeit in den nächsten zehn Jahren weiterhin ein Büroarbeitsplatz bei ihrem Arbeitgeber notwendig sein wird. „Dieses betriebliche Büro wird dann eher ein Open-Space-Büro sein, trotz Nachteilen und Belastungen“, ergänzt Dr. Nick Kratzer vom ISF München. 

Denn trotz der geäußerten Zufriedenheit hat das Konzept Vor- und Nachteile, die in Form dreier Spannungsfelder von den Beschäftigten als belastend und herausfordernd erlebt werden: Zum einen soll das Open-Space-Büro Kooperation fördern, gleichzeitig aber auch konzentriertes Arbeiten ermöglichen. Des Weiteren soll es Offenheit durch Transparenz und Sichtbarkeit bieten, muss aber auch Vertraulichkeit erlauben. Und letztlich soll es Flexibilität gewährleisten, muss aber auch Optionen für Individualität beinhalten. Um die Idee des Open-Space-Büros weithin erfolgreich auch in Hinblick auf Gesundheit und Arbeitsleistung etablieren zu können, braucht es aus Sicht der Forschenden die nötigen Ressourcen und Optionen: von der individuellen Fähigkeit, sich zu konzentrieren oder lieber abzuschotten, über Ressourcen wie Trennwände und Kopfhörer sowie unterschiedliche Raumoptionen. Dazu gehören Rückzugsräume und Telefonboxen ebenso wie die Möglichkeit, ins Home Office zu gehen. „Der Umgang mit dem Konzept ist nicht allein eine Frage des Verhaltens oder von Regeln, sondern es müssen bestimmte Lernprozesse zielgerichtet von organisatorischer Seite unterstützt werden“, fügt die Wirtschaftspsychologin von der Universität Freiburg hinzu.

Die Abkürzung PRÄGEWELT steht für „Präventionsorientierte Gestaltung neuer Open-Space-Arbeitswelten“ und ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ gefördertes und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreutes Projekt. Alle Ergebnisse sind auf www.praegewelt.de zu finden.

Wie steht es um das Wohlbefinden von Führungskräften?

Forschungsteam aus Kiel, Frankfurt und Koblenz-Landau veröffentlicht Metastudie

Organisieren, koordinieren, Verantwortung tragen – Führungskräfte müssen viel leisten und ein verlässlicher Faktor für Unternehmen und Mitarbeitende sein. Da spielt ihre Gesundheit eine entscheidende Rolle. Erkenntnisse über das Wohlbefinden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gibt es in der Wissenschaft bereits. Weniger bekannt ist, wie es um das Wohlbefinden von Führungskräften steht und wie sich das auf ihren Führungsstil auswirkt. Ein Forschungsteam von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Universität Koblenz-Landau veröffentlichte kürzlich eine Metastudie über dieses Zusammenspiel in dem international renommierten Fachjournal Work & Stress.

Wohlbefinden und Führungsstil hängen zusammen

„Für den Zusammenhang zwischen dem Führungsverhalten von Führungskräften und ihrem eigenen Wohlbefinden nahmen wir an, dass die Art, wie sie ein Team anleiten dann positiv ausfällt, wenn sie zufrieden sind und es ihnen gut geht. Das erleichtert dann wiederum, positives Führungsverhalten zu zeigen“, sagt Ko-Autorin Professorin Claudia Buengeler vom Kieler Institut für Betriebswirtschaftslehre. Die Metastudie bestätigt die Annahmen des Forschungsteams, dass ein hohes Wohlbefinden mit konstruktivem Führungsverhalten in Zusammenhang steht. Ferner fand das Team heraus, dass gestresste, emotional erschöpfte und von Burnout bedrohte Vorgesetzte zu einem eher negativen Führungsstil neigen beziehungsweise, dass negatives Führen mit einem geringeren Wohlbefinden in Zusammenhang steht.

Originalpublikation:

Antonia J. Kaluza, Diana Boer, Claudia Buengeler & Rolf van Dick (2019): Leadership behaviour and leader self-reported well-being: A review, integration and meta-analytic examination, Work & Stress, DOI: 10.1080/02678373.2019.1617369

Theoretische und empirische Erkenntnisse miteinander verknüpfen

Das Forschungsteam besteht neben Claudia Buengeler aus Erstautorin Antonia Kaluza (Institut für Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main), Diana Boer (Institut für Psychologie an der Universität Koblenz-Landau) sowie Rolf van Dick (ebenfalls Institut für Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main). Für die Metastudie haben sie zunächst die wichtigsten Theorien über den Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden von Führungskräften und ihrem Führungsstil aus insgesamt 88 Forschungsarbeiten zusammengetragen und neu bewertet. Anschließend haben sie die Ergebnisse dieser Studien, in denen über 12.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer befragt wurden, statistisch zusammengefasst. Dieses Vorgehen erlaubt, den Forschungsstand eines Forschungsfeldes sowohl theoretisch als auch empirisch zu integrieren und somit einen hohen Erkenntnisgewinn zu generieren.

Ein Anlass für eine Metaanalyse sei laut Buengeler aus folgendem Grund gegeben: „In der Personalforschung kam das Thema Gesundheit, insbesondere in Bezug auf Führungskräfte, erstmals vor rund zehn bis 20 Jahren auf, nur wenige Studien sind älter. Nach dem Wohlergehen von Führungskräften zu fragen war – wenn überhaupt – oft nur ein Nebenschauplatz.“ Sie fügt hinzu: „Wir haben es also mit einem sehr jungen Forschungsfeld zu tun, in dem gerade in den letzten Jahren ein sprunghafter Anstieg von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu verzeichnen ist. Unsere Metaanalyse fasst all diese Erkenntnisse zusammen und kann somit richtungsweisend für zukünftige Forschung auf diesem Gebiet sowie die Unternehmenspraxis sein.“

Drei konstruktive Führungsstile, ein positiver Effekt

Es gibt drei Arten von konstruktiven Führungsstilen: Um eine Führungsrolle erfolgreich auszuüben, kann der Teamleiter oder die Teamleiterin beziehungsorientiert, veränderungsorientiert oder aufgabenorientiert führen. Die beziehungsorientierte Herangehensweise zeichnet sich durch das Schaffen einer positiven Arbeitsbeziehung – durch ein Geben und Nehmen zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden – aus. Dabei stehen die Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Fokus; sie fühlen sich unterstützt. Veränderungsorientiert (zum Beispiel durch transformationale Führung) geht vor, wer seine Mitarbeitenden aus eigenem Antrieb heraus (also intrinsisch) motiviert, über sich selbst hinauszuwachsen und Veränderungen offen gegenüber zu stehen. Beim aufgabenorientierten Vorgehen (etwa durch transaktionale oder direktive Führung) macht die Führungskraft klare Vorgaben und überwacht die Zielerreichung.

„Wir konnten feststellen, dass alle drei konstruktiven Führungsstile einen positiven Zusammenhang mit dem Wohlbefinden der Führungskräfte aufweisen“, sagt Buengeler. „Den stärksten Einfluss hat der veränderungsorientierte Ansatz, den zweitstärksten der beziehungsorientierte, gefolgt von der aufgabenorientierten Herangehensweise. Umgekehrt gehen wir davon aus, dass sich ein hohes Wohlbefinden positiv auf das von Führungskräften gezeigte Führungsverhalten auswirkt.“

Destruktive Führung begünstigt schlechtes Wohlbefinden

Unter destruktiver Führung leiden beispielsweise die Arbeitszufriedenheit, das Engagement sowie das Wohlbefinden der Mitarbeitenden – Stress wird dadurch auch bei den Führungskräften verstärkt. Destruktive Führung beinhaltet neben einem aktiv destruktiven Stil (zum Beispiel despotisches oder autokratisches Verhalten, psychischer Missbrauch, Mobbing) auch passives Führungsverhalten.

Passives Verhalten äußert sich zum Beispiel in einer Laissez-faire-Führung. Das Problem hier: Die Führungskraft führt ihre Mitarbeitenden nicht, setzt keine Grenzen, nimmt ihnen keine Entscheidungen ab oder ist einfach nicht für sie da. Das Forschungsteam konnte zeigen, dass aktiv destruktive Führung zwar stärker negativ mit dem Wohlbefinden der Führungskräfte in Zusammenhang steht als passive Führung. Dennoch wirkt auch passive Führung keineswegs neutral, sondern negativ auf ihr Wohlbefinden. Da das Verhalten von Führungskräften wiederum das Wohlbefinden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beeinflusst, sind die Vermeidung von destruktivem Führungsverhalten sowie die Stärkung des Wohlbefindens von Führungskräften wichtige Ansatzpunkte für ein nachhaltiges Gesundheitsmanagement in Unternehmen.

Bewusstsein schaffen und Maßnahmen entwickeln

Das Ziel der Studie ist zum einen, ein Bewusstsein in der Gesellschaft dafür zu schaffen, dass das Wohlbefinden von Führungskräften ebenso wichtig ist wie das der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sie anleiten. Zum anderen geht es darum, negative Verhaltensmuster zu erkennen, diese zu durchbrechen und sie langfristig zu verändern. „Um strukturelle Maßnahmen zu schaffen, die den Führungskräften helfen, ihre Rolle effektiv auszuüben, muss zunächst klar sein, was bei schlechtem Wohlbefinden tatsächlich helfen kann“, meint Buengeler. „Neben gezielten Trainingsmaßnahmen für Führungskräfte sind Unternehmen auch gefragt, mehr Freiräume zu schaffen und Zeit einzuräumen, damit Führungskräfte ihre Rolle reflektierter und aktiver wahrnehmen können.“

Die Metastudie bildet den Auftakt einer Reihe von Veröffentlichungen rund um das Thema Führung und Gesundheit. An dem Gesamtprojekt ist auch die Amsterdam Business School der Universität Amsterdam beteiligt.