Kreativität kommt nicht im Schlaf

Schlaf fördert das Gedächtnis, aber nicht die Kreativität beim Lösen von Problemen

 

Kreativtage in Bad Reichenhall 2014
Aufgenommen bei den Kreativtagen in Bad Reichenhall 2014

Studie gibt Hinweis auf grundlegende Funktion des Schlafs / Publikation im Fachjournal Sleep

Wer schläft, stärkt dabei zwar das Gedächtnis, nicht aber das kreative Denken. Das zeigen Forscherinnen und Forscher des Universitätsklinikums Freiburg in einer Studie, die am 1. März 2016 im Fachjournal Sleep veröffentlicht wurde. Sie untersuchten bei Probanden, ob im Schlaf Erinnerungen nur gefestigt oder auch mit anderen Gedächtnisinhalten neu vernetzt werden. Letzteres gilt als Voraussetzung für kreatives Denken. Im Experiment zeigten Probanden mit Nachtschlaf zwar das beste Erinnerungsvermögen. Erstaunlicherweise war aber die Gruppe mit Schlafentzug sogar etwas kreativer als die ‚Schläfer‘. Die Studie widerlegt damit die Annahme, dass kreative Prozesse im Schlaf besonders intensiv ablaufen. Das spricht  dafür, dass Gedächtnisfestigung und Neuorganisation von Erinnerungen unabhängige Prozesse sind, bei denen die Gedächtnisstärkung im Schlaf Vorrang hat.

Die Wissenschaftler um Prof. Dr. Christoph Nissen, Geschäftsführender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg, untersuchten bei insgesamt 60 Probanden, wie kreativ sie beim Lösen von Aufgaben waren. Dies geschah mit einem etablierten Assoziationstest, da assoziatives Denken eine wesentliche Grundlage für kreative Prozesse ist. In 60 Durchgängen sollten sie zu drei vorgegebenen Begriffen (etwa „Flocke – Eule – Besen“) ein Lösungswort finden, das jedes der drei Wörter sinnvoll ergänzt („Schnee“). Direkt nach der Antwort erfuhren die Testpersonen, ob diese korrekt war oder nicht. Das erlaubte den Probanden, die Antworten in der Folge zu speichern und zu verarbeiten. Eine Gruppe führte den Test abends durch und schlief danach im Schlaflabor. Die zweite Gruppe führte den Test ebenfalls abends durch, durfte aber bis zum nächsten Morgen nicht schlafen. Eine dritte Gruppe machte den Test morgens und verbrachte dann einen normalen Tag. Nach acht Stunden wiederholten alle Probanden den Test. Anteil und Geschwindigkeit der wiederholt richtigen Antworten galten als Maß für die Gedächtnisleistung. Die Zahl und Geschwindigkeit der im zweiten Durchgang erstmals richtigen Antworten wurden als Maß für assoziatives und kreatives Denken gewertet.

Gedächtnis-Festigung statt Gedächtnis-Neuordnung

Wie vermutet erinnerten sich die ‚Schläfer‘ im zweiten Durchgang am besten und am schnellsten an die acht Stunden zuvor gegebenen richtigen Antworten. Sie waren aber nicht besser darin, für bislang ungelöste Begriffe korrekte Antworten zu finden. „Unsere Studie zeigt klar: die kreative Verarbeitung von Informationen ist im Schlaf nicht stärker als im Wachzustand“, sagt Prof. Nissen. Tatsächlich fanden die Nachtaktiven sogar etwas schneller neue, richtige Antworten als die anderen beiden Gruppen. „Unabhängig davon hilft es natürlich, ausgeschlafen zu sein, um wieder neu leistungsfähig zu sein“, stellt Prof. Nissen klar.

Die nun veröffentlichten Erkenntnisse widersprechen  einer Reihe bisheriger Studien, die eine kreative Neuorganisation von Informationen im Schlaf gefunden hatten. Während bislang meist recht einfache Denkvorgänge untersucht wurden, gilt aber assoziatives Denken als höchste Form des kreativen Denkens. „Vermutlich hat Schlaf umso weniger Einfluss auf die kreative Verarbeitung von Informationen, je komplexer die Aufgabe ist“, sagt Prof. Nissen.

Kreatives Denken als Nebenprodukt?

Die Studie gibt damit auch wichtige Hinweise auf die grundsätzliche Funktion von Schlaf. „Aus evolutionärer Sicht dürfte entscheidend sein, dass Erinnerungen im Schlaf gefestigt werden und weniger, dass unterschiedliche Inhalte neu vernetzt werden“, sagt Prof. Nissen. Weitere Studien sollen nun die klinische Bedeutung der Ergebnisse, etwa für die Psychotherapie, erforschen.

Originaltitel der Arbeit: Sleep Strengthens but does Not Reorganize Memory Traces in a Verbal Creativity Task

Link zur Studie: www.journalsleep.org/ViewAbstract.aspx?pid=30497

Erinnerungen beeinflussen Entscheidung für oder gegen bestimmtes Essen

Je besser wir uns an etwas erinnern, desto eher entscheiden wir uns dafür – auch wenn das Angebot weniger attraktiv ist als Alternativen.

Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und der Universität Basel belegen in einer Studie, in der verschiedene Essensangebote zur Wahl standen, wie das Gedächtnis die Entscheidungen beeinflusst. Mithilfe von Gehirnscans konnten die Forscher zeigen, dass diesem Einfluss eine verstärkte Kommunikation zwischen den beteiligten Hirnarealen zugrunde liegt. Ihre Studienergebnisse sind jetzt in der Wissenschaftszeitschrift Neuron erschienen.

„Viele unserer alltäglichen Entscheidungen wie zum Beispiel ´In welches Restaurant gehen wir essen?´ stützen sich auf den Abruf relevanter Informationen aus dem Gedächtnis. Die neuronalen und kognitiven Mechanismen solcher Entscheidungen sind aber bisher kaum untersucht worden“, erläutert Prof. Dr. Christian Büchel, Direktor des Instituts für Systemische Neurowissenschaften des UKE. Bekannt ist, dass bei diesen Gehirnprozessen der Hippocampus, eine klassische „Gedächtnis-Region“, und der ventromediale präfrontale Kortex im Stirnlappen, eine „Entscheidungs-Region“, beteiligt sind.

In der Studie hatten 30 hungrige, jüngere Probanden eine Aufgabe zu lösen, bei der sie zunächst 48 Snacks danach zu bewerten hatten, wie sehr sie sie mögen – etwa Chips und Schokoladenriegel, Salzgebäck und Gummibonbons. Anschließend mussten sie sich im Magnetresonanztomographen (MRT) wiederholt zwischen je zwei Essensangeboten entscheiden. Die Snacks wurden ihnen, verbunden mit bestimmten Orten, auf dem Computerbildschirm präsentiert. Bei der Entscheidung wurden dann aber nur die Orte gezeigt, sodass sich die Probanden an die dazugehörigen Snacks erinnern mussten.

Als Ergebnis bevorzugten die Probanden tendenziell Snacks, an die sie sich besser erinnerten. Mehr noch: Besser erinnerte Snacks wurden auch dann gewählt, wenn sie vergleichsweise unattraktiv waren, also von den Probanden initial schlecht bewertet wurden. Einzig Snacks, die jemand in der Bewertung sehr stark ablehnte, wurden nicht gewählt. Der Vergleichsgruppe mit ebenfalls 30 Probanden wurden die Snacks direkt im Bild präsentiert – bei ihnen deckte sich in der Regel die erste Bewertung mit der späteren Entscheidung.

Die neuronalen Mechanismen der gedächtnisbasierten Entscheidungen untersuchte die Forschungsgruppe mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) im UKE. Sie entwickelten ein mathematisches Modell, das den Entscheidungsprozess abbildet und den Einfluss des Gedächtnisses mit berücksichtigt. Damit konnten die Wissenschaftler die Stärke der gedächtnisbasierten Aktivierung während der Abspeicherung im Hippocampus bestimmen. Eine Analyse der Aktivierung während der Entscheidungen zeigte, dass eine verstärkte Kommunikation von Hippocampus und dem ventromedialen präfrontalen Kortex stattfindet.

„Unsere Untersuchung bildet eine Brücke zwischen zwei zentralen Forschungsfeldern der Psychologie, der Gedächtnis- und der Entscheidungsforschung“, erläutert der Erstautor der Studie,  Dr. Sebastian Gluth, ehemals Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE, jetzt Fakultät für Psychologie der Universität Basel. Die Kombination von mathematischer Modellierung und den Gehirnscans liefert zudem ein genaues Verständnis darüber, welche Gehirnareale an welchen psychologischen Teilprozessen beteiligt sind und wie die verschiedenen Areale miteinander zusammenspielen. Die Studie entstand in Kooperation mit Dr. Tobias Sommer und Prof. Dr. Christian Büchel, beide ebenfalls aus dem Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE, und Prof. Jörg Rieskamp, Fakultät für Psychologie der Universität Basel.

Literatur:

Sebastian Gluth, Tobias Sommer, Jörg Rieskamp, and Christian Büchel Effective connectivity between hippocampus and ventromedial prefrontal cortex controls preferential choices from memory, Neuron 2015, epub ahead of print. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.neuron.2015.04.023